Sonntag, 26. Juli 2015

Buchvorstellung vom Bayerischen Rundfunk: ''Die griechischen Studenten in München 1826 - 1844 und ihr späteres Wirken in Griechenland''



Bayerischer Rundfunk,
Bayern 2 Radio 
Bayernchronik vom 29.6.1996

Die griechischen Studenten in München 1826 - 1844 und ihr späteres Wirken in Griechenland

Ein Bericht von Henning Pfeifer

Das Verhältnis zwischen Bayern und Griechenland war kürzlich Thema auf höchster politischer Ebene. 

Der griechische Staatspräsident Konstantin Stephanopoulos war zu Gast bei Ministerpräsident Edmund Stoiber

Die beiden haben bei dieser Gelegenheit sicherlich nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen erörtert. Da wurden Erinnerungen wach an eine Zeit, als Bayern und Griechenland einen Teil des Weges ihrer Geschichte gemeinsam zurücklegten. 
König Otto I. von Griechenland
Zwischen 1832 und 1862 regierte Otto, der zweitjüngste Sohn König Ludwigs des Ersten, in Griechenland.

Als 17jähriger hatte er den Thron bestiegen. 

Bis zu seiner Volljährigkeit drei Jahre später übernahm eine Regentschaft die königliche Macht in dem jungen griechischen Staat, der gerade die Fremdherrschaft der Türken abgeschüttelt hatte. 

Der Freiheitskampf hatte viele Tausend Griechen das Leben gekostet, zahlreiche Waisenkinder waren zu versorgen. 
Und weil es in Griechenland kaum noch Schulen gab, wurden viele junge Griechen in die Welt hinausgeschickt, wo sie mit Stipendien Schulen und Universitäten besuchten.

Das gilt vor allem für München, wo zwischen 1826 und 1844 allein an der Universität rund 100 Griechen studierten

Der Historiker und Ausländerbeirat der Stadt München (1992-2010),
Konstantin Sot. Kotsowilis, 
hat die Lebensläufe der griechischen Studenten in München nachvollzogen und festgestellt, dass gerade sie maßgeblich am Aufbau ihres Staates beteiligt waren.


Die Seeschlacht von Navarino im Oktober 1827 vor der Westküste des Peloponnes hatte die endgültige Befreiung Griechenlands von der Türkenherrschaft markiert. 

......... 
Es waren andere Länder, die den Befreiungskampf entschieden. Engländer, Franzosen und Russen hatten als alliierte Seestreitkräfte die türkisch-ägyptische Flotte binnen drei Stunden versenkt. 

Ioannis Kapodistrias
(1776 - 1831)
Der russische Minister Ioannis Kapodistrias übernahm zunächst das Amt des regierenden griechischen Präsidenten. 
Weil aber keine der drei Großmächte einen Vorteil in der Orientpolitik für sich gewinnen durfte, wurde die Bestimmung erlassen, dass niemand aus den Reihen der Engländer, Franzosen oder Russen über Griechenland herrschen sollte. 
Leopold von Gotha war deshalb im Gespräch, doch der lehnte dankend ab, nachdem ihm Kapodistrias ein ziemlich düsteres Bild über die Lage Griechenlands vermittelt hatte. 
Leopold wurde 1831 König von Belgien, Jahre später bereute er seinen Entschluß, auf den griechischen Thron verzichtet zu haben und schrieb an seine Nichte, die englische Königin Victoria:

„Ich wollte, ich könnte mit Otto tauschen; er bekäme solide Verhältnisse und ich Sonne und ein interessantes Land.

Zu diesem Zeitpunkt war Otto bereits acht Jahre König der Griechen. 
Zu Beginn seiner Herrschaft war er siebzehnjährig, und sein Vater Ludwig I. wollte ihn eigentlich unter der Obhut des regierenden Präsidenten Kapodistrias wissen. 
Und weil Kapodistrias unter russischem Einfluß stand, suchte Ludwig im November 1829 die Annäherung an die Russen, als er ihnen seinen zweiten Sohn Otto ans Herz legen wollte:

„Unverzüglich ist an den Gesandten Freiherrn von Ceto dasselbe zu erlassen, was an Freiherrn von Giese geschrieben worden ist, meinen Sohn Otto betreffend:
nicht dass der dem Englischen Ministerium davon spreche, sondern dem Russischen Botschafter. 
Dass gerade dieser mein Sohn Otto minderjährig noch unter Kapodistrias Leitung zu stehen hätte, muß Russland gefallen.
Ottos ausgezeichnete Anlagen, sein treffliches Gemüt sind nach Verdienst herauszuheben.
 
Die Ermordung Kapodistrias' (9. Oktober 1831)
Doch soweit kam es nicht: Kapodistrias wurde 1831 ermordet.
Griechenland brauchte also umgehend einen neuen Herrscher und in Europa hatte sich die Zuneigung Ludwigs I. zur griechischen Kultur längst herumgesprochen. 

Einen wesentlichen Anteil an der Thronübernahme durch den jungen Otto hatte der Altphilologe und Universitätsprofessor Friedrich Wilhelm Thiersch. 

Genf war damals noch das Zentrum der philhellenen Bewegung in Mitteleuropa. Und an einen einflußreichen Genfer Bankier hatte Thiersch 1829 geschrieben, nachdem feststand, dass nicht mehr die Großmächte den künftigen Herrscher stellen durften:

„Sind dies die Bedingungen für eine glückliche Wahl des künftigen Souverains von Griechenland, so trage ich kein Bedenken, das königliche Haus von Bayern als das geeignetste zu bezeichnen und den Prinzen Otto als denjenigen, auf welchen sich das Augenmerk richten muß, wenn man diese große Frage im Interesse Griechenlands sowie der öffentlichen Ordnung Europas entschieden zu sehen wünscht. “

Am 30. Januar 1833 landete Otto als junger König von Griechenland im Hafen von Nauplia.

Umgekehrt waren bereits viele Jugendliche Griechen zum Studieren nach München gekommen. 

Der Historiker Magister Kotsowilis hat die Lebenswege der griechischen Studenten in München in einer wissenschaftlichen Arbeit nachgezeichnet.

„Da während der Türkenherrschaft in Griechenland fast keine Schulen mehr betrieben wurden, vor allen Dingen in der Zeit des Befreiungskampfes, mußten die Waisenkinder, die nach München zum Studieren kamen, erst eine Schule besuchen.
 Und diese Schule war in der Privatwohnung von König Ludwig dem Ersten, in der Arcisstraße 8, in der Nähe des Königsplatzes, untergebracht. “

München wurde zum europäischen Mittelpunkt des Philhellenismus. 

Die Philomusengesellschaft zog von Wien in die bayerische Hauptstadt, sie unterstützte finanziell die Ausbildung der griechischen Studenten in München.
Der Philhellene
Professor Friedrich Thiersch (1784 - 1860)
Vom Hauptverein des 10köpfigen Philhellenen-Komitees in Bayern unter dem Vorsitz von Innenminister Dr. jur. Eduard Ritter von Schenk und Beteiligung von Friedrich Thiersch, der jedes halbe Jahr über die Erfolge der Studenten nach Griechenland berichtete, gab es Stipendien für griechische Studenten, ebenso von Ludwig I. und Kapodistrias, von Ottos Regentschaft und den griechischen Regierungen.
Alexander Rangavis-Rizos
(1809 - 1892)

„Das erste Stipendium hatte der König 1826 persönlich zur Verfügung gestellt. 
Es war der Kadett Alexander Rangavis, der später in Berlin Botschafter Griechenlands wurde und auch griechischer Außenminister.“

Beim Königlich-Bayerischen Kadettenkorps und an der Seekadettenschule waren ab 1826 Griechen zur Ausbildung zugelassen, ebenso an der Akademie der Schönen Künste, am Landwirtschaftlichen Institut zu Schleißheim, am Klerikalseminar zu Eichstätt und am Münchner Greorgianum.

 Im Matrikelbuch der Ludwig-Maximilians-Universität zählte Magister Kotsowilis rund 100 griechische Studenten, die innerhalb von 18 Jahren eingeschrieben waren.

Die meisten Absolventen haben es nach der Rückkehr in ihre Heimat zu großem Ansehen gebracht. 

Zum Beispiel Konstantin Provelengios
Er studierte ab 1827 an der juristischen Fakultät. 
In Griechenland wurde er Sekretär der Verfassungskommission der ersten Athener Nationalversammlung, später Senatsmitglied, dann Justizminister, Finanzminister, Innenminister und dann noch Außenminister. 
Anastasios Polyzoidis
(1802 - 1873)

Noch einflußreicher wurde ein anderer Student, Anastasios Polyzoidis. Als er mit 25 Jahren nach München kam, um sein Wissen an der Uni zu erweitern, hatte er bereits eine beispiellose Karriere hinter sich. 

Ab dem 16. Lebensjahr hatte er in Wien, Göttingen und Berlin studiert, kehrte dann nach Griechenland zurück, war mit 21 Präsident des Ministerrats und gehörte zu den Unterzeichnern der Berufung des Kapodistrias in das Regierungsamt. 

Mit 25 zog er sich vorübergehend aus der Politik zurück, reiste über Italien und Frankreich nach Bayern und studierte ab Oktober 1827 in München Philosophie und Jura.
Nach zwei Jahren zog es ihn zurück nach Griechenland. Er wurde zum erbittertsten Gegner des regierenden Kapodistrias. 

Mit seiner eigenen Zeitung „Apollon“ wiegelte er das Volk gegen den verhaßten Präsidenten auf und hatte auf diese Weise seinen Anteil an der Ermordung Kapodistrias im Oktober 1831. In der letzten Ausgabe des Apollon schrieb Polyzoidis:

„Wir hören auf, denn wir haben unser Ziel erreicht. 
Der Tyrann ist nicht mehr. 

Noch viele Jahre sollte Polyzoidis die Geschicke seines Landes mitbestimmen, dann aber mit Billigung des fremden Herrschers, der nun Otto hieß.

Unter der Regentschaft Griechenlands wurde Polyzoidis 1834 Präsident des Landgerichts in Nauplia. 
Graf Joseph Ludwig von Armansperg

Zu dieser Zeit, als Otto noch minderjährig war, leitete Graf Armansperg die Regentschaft Griechenlands. 

Drei Jahre nach dem Tod des Kapodistrias befürchtete Graf Armansperg, die Anhänger des ermordeten Präsidenten planten einen Umsturz. 

Die Rädelsführer wurden verhaftet unter ihnen der berühmte Freiheitskämpfer Theodoros Kolokotronis, über den nun Polyzoidis als Richter zu urteilen hatte.

Als Vorsitzender der Großen Strafkammer hatte er über den Fall Kolokotronis, also über den Führer der Revolution zu urteilen. 

Er hat das Urteil nicht unterschreiben wollen, das Kolokotronis zum Tode verurteilt hatte, und daraufhin hat man ihn vier Monate eingesperrt, bis er wieder auf freien Fuß gesetzt wurde und das Kultusministerium und das Innenministerium übernahm. 

Er hat das erste Pressegesetz veröffentlicht, und er hat die Gründungsurkunde der Universität Athen unterzeichnet im Jahre 1837.“

Polyzoidis war es, der bereits 1837 die Revolution vorhergesagt hatte, sechs Jahre bevor sie Ottos Regierung erschüttern sollte. 

In einer Athener Zeitung war in einem Artikel von ihm zu lesen:

„Niemand zweifelt mehr, dass die Hoffnungen wieder aufleben werden, die das griechische Volk gleich anfangs und mit Recht hegte, seinen trefflichen Otto als konstitutionellen Monarchen und in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes mit Hellenen umgeben zu erblicken. 
Ja, Landsleute, die Stunde der endlichen Erfüllung unserer Hoffnung naht. “

Damit hatte Polyzoidis die Ereignisse vom 3. September des Jahres 1843 vorausgenommen

Otto mußte eine Verfassung der Griechen akzeptieren und damit war seine Regierung praktisch am Ende.

Denn laut jener Verfassung durften nur noch Bürger Griechenlands Staatsämter bekleiden. 

Otto behielt zwar als König die vollziehende Gewalt, doch es waren nur Griechen, die er fortan als Minister einsetzen konnte. 

Die Revolution von 1843 verlief weitgehend gewaltfrei. Dies ist auch ein Verdienst des ehemaligen Münchner Jurastudenten Emmanuel Vyvilakis.

„Bei der Revolte 1843 hat er das Leben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Mavrokoratos gerettet und bewahrte auch das Staatsarchiv vor der Zerstörung durch die Aufständischen.“

Nachdem sich Otto mit seiner neuen Rolle als konstitutioneller Herrscher abgefunden hatte, legte er im März 1844 den Eid auf die Verfassung ab.

Ich schwöre im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit, die herrschende Religion der Hellenen zu schützen, 
die Verfassung und die Gesetze des hellenischen Volkes zu wahren und die nationale Selbständigkeit und Unteilbarkeit des hellenischen Staates aufrecht zu erhalten und zu verteidigen.“

Mit Inkrafttreten der Verfassung mußten zahlreiche bayerische Politiker, aber auch Gelehrte Griechenland verlassen, mit Ausnahme des Münchners Xaver Landerer, des Leibapothekers König Ottos.

Landerer ist praktisch der einzige, der in der ersten Stunde der Revolution nicht in Griechenland war und trotzdem geblieben ist, und zwar dadurch, dass er zehn Jahre lang an der Uni kostenlos unterrichtete
Im zehnten Jahr hat man ihm das Gehalt wieder gegeben, weil die Fakultät ihn zum Dekan gewählt hat.“

Es waren nicht nur Politiker, die vor ihrer Karriere in Griechenland in München studierten. 

An der Universität war auch Georgios Pagon eingeschrieben. Er sollte einer der ersten Sportpädagogen Griechenlands werden. Und nicht nur das:

„Er hat in Athen die olympischen Spiele eingeführt, das erste Mal im Jahr 1859 und das zweite Mal im Jahr 1870. 
Das erste Mal waren die Spiele sogar an dem Platz, der nach Ludwig dem Ersten benannt war.“

Der erste olympische Gehversuch 1859, also viele Jahre vor den ersten offiziellen Spielen der Neuzeit, war ein völliger Fehlschlag. 

Ein Stadion gab es damals noch nicht.

Nach der Ankündigung, olympische Spiele in Athen durchzuführen, war der Ansturm derer, die dabeisein wollten so groß, dass es zu einer Massenpanik kam. 
Es gab einen Toten und zahlreiche Verletzte.

Kehren wir zurück zu den griechischen Studenten in München: 
Der Jurastudent Konstantin Dosios genoß als Athener Stadtrat unter Otto und später als Kultusminister einen hohen Bekanntheitsgrad, doch sein Sohn Aristidis erlangte eine größere, wenn auch traurige Berühmtheit durch ein Attentat, das er auf Königin Amalia verübte:
Königin Amalia von Griechenland
„Man hat das in späterer Zeit hochgespielt. 
Man behauptete, das sei ein studentischer Aufstand gewesen gegen das Königtum überhaupt.
 Es stellte sich aber heraus, dass der junge Mann verrückt war, und deshalb ist er auch in einer Nervenheilanstalt in Paris gestorben.“

Das Attentat auf Königin Amalia vom 18. September 1861 geschah ein Jahr, bevor das Herrscherpaar Griechenland endgültig den Rücken kehren mußte. 

Nach dem Ende des bayerischen Königtums kehrte ein gewisser Georgios Petimesas nach Griechenland zurück, der in München an der Staatswirtschaftlichen Fakultät studiert hatte.

Er war maßgeblich am ersten Sturzversuch Ottos mitbeteiligt gewesen.

 Er wurde des Landes verwiesen und verbrachte acht Monate in italienischem Exil.

„Als im Oktober 1862 der Sturz Ottos in Athen kam, kehrte er nach Griechenland zurück. 
An der Spitze einer 20köpfigen Kommission kontrollierte er den geheimen Briefwechsel Ottos. 
Dabei musste er dann feststellen, dass die Griechen einen Fehler begangen hatten, Otto gestürzt zu haben.

Entsetzt über das eigene Handeln erklärte Petimesas gegenüber den Kommissionsmitgliedern:

Meine Herren! 

Viel zu spät sind wir nun alle von Ottos Vaterlandsliebe zu Griechenland überzeugt worden. 

Lassen Sie uns diesen Briefwechsel verbrennen, denn sonst wird das Volk uns verbrennen, wenn es davon Kenntnis erhält. 

Verhängnisvollerweise haben wir uns und de Nation des Augenlichts beraubt!“

Doch für Reue war es zu spät, Otto war nicht mehr König von Griechenland. 

Auch wenn nicht alle griechischen Studenten, die sich in München die nötige Bildung verschafften zu Lichtgestalten der Geschichte wurden, die meisten von Ihnen leisteten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des damals noch jungen, modernen Griechenland.

„Sie haben praktisch alles ins Leben gerufen:
 ob das die Gesellschaften waren, ob das Museen  waren, Laboratorien oder Seminare. 
Alles haben diese Studenten gemacht. 
Ich konnte feststellen, dass in einem Jahr alle Dekane der Fakultäten ehemalige Studenten aus München waren.

Auch in der Politik waren sie sehr aktiv: 
nicht nur als Abgeordnete im Parlament und als Minister in verschiedenen Regierungen
Einer wurde Parlamentspräsident und ein anderer sogar Ministerpräsident. “

Bayerischer Rundfunk
Mit freundlicher Empfehlung
Redaktion Bayern
Rundfunkplatz 1, 80335 München

Telefon 0 89/59 00-2281, Fax 089/59 00-3361

Textformatierungen und Bilder sind von mir ergänzt worden. 
(Konstantin Kotsowilis M.A.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.