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Bayernchronik vom 29.6.1996
Die griechischen
Studenten in München 1826 - 1844 und ihr späteres Wirken in Griechenland
Ein Bericht von Henning Pfeifer
Das Verhältnis
zwischen Bayern und Griechenland war kürzlich Thema auf höchster politischer
Ebene.
Der griechische Staatspräsident Konstantin Stephanopoulos war zu Gast
bei Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Die beiden haben bei dieser Gelegenheit
sicherlich nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen erörtert. Da wurden
Erinnerungen wach an eine Zeit, als Bayern und Griechenland einen Teil des
Weges ihrer Geschichte gemeinsam zurücklegten.
König Otto I. von Griechenland |
Zwischen 1832 und 1862 regierte
Otto, der zweitjüngste Sohn König Ludwigs des Ersten, in Griechenland.
Als
17jähriger hatte er den Thron bestiegen.
Bis zu seiner Volljährigkeit drei
Jahre später übernahm eine Regentschaft die königliche Macht in dem
jungen griechischen Staat, der gerade die Fremdherrschaft der Türken
abgeschüttelt hatte.
Der Freiheitskampf hatte viele Tausend Griechen das Leben
gekostet, zahlreiche Waisenkinder waren zu versorgen.
Und weil es in
Griechenland kaum noch Schulen gab, wurden viele junge Griechen in die Welt
hinausgeschickt, wo sie mit Stipendien Schulen und Universitäten besuchten.
Das
gilt vor allem für München, wo zwischen 1826 und 1844 allein an der Universität
rund 100 Griechen studierten.
Der Historiker und Ausländerbeirat der Stadt
München (1992-2010),
Konstantin Sot. Kotsowilis,
hat die Lebensläufe der griechischen Studenten
in München nachvollzogen und festgestellt, dass gerade sie maßgeblich am Aufbau
ihres Staates beteiligt waren.
Die Seeschlacht
von Navarino im Oktober 1827 vor der Westküste des Peloponnes hatte die
endgültige Befreiung Griechenlands von der Türkenherrschaft markiert.
.........
Es waren andere Länder, die den Befreiungskampf entschieden. Engländer,
Franzosen und Russen hatten als alliierte Seestreitkräfte die
türkisch-ägyptische Flotte binnen drei Stunden versenkt.
Ioannis Kapodistrias (1776 - 1831) |
Der russische Minister
Ioannis Kapodistrias übernahm zunächst das Amt des regierenden griechischen
Präsidenten.
Weil aber keine der drei Großmächte einen Vorteil in der
Orientpolitik für sich gewinnen durfte, wurde die Bestimmung erlassen, dass niemand aus den Reihen der Engländer, Franzosen oder Russen über Griechenland
herrschen sollte.
Leopold von Gotha war deshalb im Gespräch, doch der lehnte
dankend ab, nachdem ihm Kapodistrias ein ziemlich düsteres Bild über die Lage
Griechenlands vermittelt hatte.
Leopold wurde 1831 König von Belgien, Jahre später
bereute er seinen Entschluß, auf den griechischen Thron verzichtet zu haben und
schrieb an seine Nichte, die englische Königin Victoria:
„Ich wollte, ich
könnte mit Otto tauschen; er bekäme solide Verhältnisse und ich Sonne und ein
interessantes Land.“
Zu diesem
Zeitpunkt war Otto bereits acht Jahre König der Griechen.
Zu Beginn seiner
Herrschaft war er siebzehnjährig, und sein Vater Ludwig I. wollte ihn
eigentlich unter der Obhut des regierenden Präsidenten Kapodistrias wissen.
Und
weil Kapodistrias unter russischem Einfluß stand, suchte Ludwig im November
1829 die Annäherung an die Russen, als er ihnen seinen zweiten Sohn Otto ans Herz legen
wollte:
„Unverzüglich ist
an den Gesandten Freiherrn von Ceto dasselbe zu erlassen, was an Freiherrn von
Giese geschrieben worden ist, meinen Sohn Otto betreffend:
nicht dass der dem
Englischen Ministerium davon spreche, sondern dem Russischen Botschafter.
Dass gerade dieser mein Sohn Otto minderjährig noch unter Kapodistrias Leitung zu
stehen hätte, muß Russland gefallen.
Ottos ausgezeichnete Anlagen, sein
treffliches Gemüt sind nach Verdienst herauszuheben. “
Doch soweit kam
es nicht: Kapodistrias wurde 1831 ermordet.
Griechenland brauchte also umgehend einen neuen Herrscher und in Europa hatte sich die Zuneigung Ludwigs I. zur griechischen Kultur längst herumgesprochen.
Griechenland brauchte also umgehend einen neuen Herrscher und in Europa hatte sich die Zuneigung Ludwigs I. zur griechischen Kultur längst herumgesprochen.
Einen wesentlichen Anteil an der
Thronübernahme durch den jungen Otto hatte der Altphilologe und
Universitätsprofessor Friedrich Wilhelm Thiersch.
Genf war damals noch das
Zentrum der philhellenen Bewegung in Mitteleuropa. Und an einen einflußreichen
Genfer Bankier hatte Thiersch 1829 geschrieben, nachdem feststand, dass nicht
mehr die Großmächte den künftigen Herrscher stellen durften:
„Sind dies die
Bedingungen für eine glückliche Wahl des künftigen Souverains von Griechenland,
so trage ich kein Bedenken, das königliche Haus von Bayern als das geeignetste
zu bezeichnen und den Prinzen Otto als denjenigen, auf welchen sich das
Augenmerk richten muß, wenn man diese große Frage im Interesse Griechenlands
sowie der öffentlichen Ordnung Europas entschieden zu sehen wünscht. “
Am 30. Januar
1833 landete Otto als junger König von Griechenland im Hafen von Nauplia.
Umgekehrt waren
bereits viele Jugendliche Griechen zum Studieren nach München gekommen.
Der
Historiker Magister Kotsowilis hat die Lebenswege der griechischen Studenten
in München in einer wissenschaftlichen Arbeit nachgezeichnet.
„Da während der
Türkenherrschaft in Griechenland fast keine Schulen mehr betrieben wurden, vor
allen Dingen in der Zeit des Befreiungskampfes, mußten die Waisenkinder, die
nach München zum Studieren kamen, erst eine Schule besuchen.
Und diese Schule
war in der Privatwohnung von König Ludwig dem Ersten, in der Arcisstraße 8, in
der Nähe des Königsplatzes, untergebracht. “
München wurde zum
europäischen Mittelpunkt des Philhellenismus.
Die Philomusengesellschaft zog
von Wien in die bayerische Hauptstadt, sie unterstützte finanziell die
Ausbildung der griechischen Studenten in München.
Der Philhellene Professor Friedrich Thiersch (1784 - 1860) |
Vom Hauptverein des 10köpfigen Philhellenen-Komitees in Bayern unter dem Vorsitz von Innenminister Dr. jur. Eduard Ritter von Schenk und Beteiligung von Friedrich Thiersch, der jedes
halbe Jahr über die Erfolge der Studenten nach Griechenland berichtete, gab es
Stipendien für griechische Studenten, ebenso von Ludwig I. und Kapodistrias,
von Ottos Regentschaft und den griechischen Regierungen.
„Das erste
Stipendium hatte der König 1826 persönlich zur Verfügung gestellt.
Es war der Kadett
Alexander Rangavis, der später in Berlin Botschafter Griechenlands wurde und
auch griechischer Außenminister.“
Beim
Königlich-Bayerischen Kadettenkorps und an der Seekadettenschule waren ab 1826 Griechen
zur Ausbildung zugelassen, ebenso an der Akademie der Schönen Künste, am
Landwirtschaftlichen Institut zu Schleißheim, am Klerikalseminar zu Eichstätt
und am Münchner Greorgianum.
Im Matrikelbuch der Ludwig-Maximilians-Universität
zählte Magister Kotsowilis rund 100 griechische Studenten, die innerhalb von
18 Jahren eingeschrieben waren.
Die meisten Absolventen haben es nach der
Rückkehr in ihre Heimat zu großem Ansehen gebracht.
Zum Beispiel Konstantin
Provelengios.
Er studierte ab 1827 an der juristischen Fakultät.
In
Griechenland wurde er Sekretär der Verfassungskommission der ersten Athener
Nationalversammlung, später Senatsmitglied, dann Justizminister,
Finanzminister, Innenminister und dann noch Außenminister.
Anastasios Polyzoidis (1802 - 1873) |
Noch einflußreicher
wurde ein anderer Student, Anastasios Polyzoidis. Als er mit 25 Jahren nach
München kam, um sein Wissen an der Uni zu erweitern, hatte er bereits eine
beispiellose Karriere hinter sich.
Ab dem 16. Lebensjahr hatte er in Wien,
Göttingen und Berlin studiert, kehrte dann nach Griechenland zurück, war mit 21
Präsident des Ministerrats und gehörte zu den Unterzeichnern der Berufung des
Kapodistrias in das Regierungsamt.
Mit 25 zog er sich vorübergehend aus der
Politik zurück, reiste über Italien und Frankreich nach Bayern und studierte ab Oktober 1827 in
München Philosophie und Jura.
Nach zwei Jahren zog es ihn zurück nach Griechenland.
Er wurde zum erbittertsten Gegner des regierenden Kapodistrias.
Mit seiner
eigenen Zeitung „Apollon“ wiegelte er das Volk gegen den verhaßten Präsidenten
auf und hatte auf diese Weise seinen Anteil an der Ermordung Kapodistrias im
Oktober 1831. In der letzten Ausgabe des Apollon schrieb Polyzoidis:
„Wir hören auf,
denn wir haben unser Ziel erreicht.
Der Tyrann ist nicht mehr. “
Noch viele Jahre
sollte Polyzoidis die Geschicke seines Landes mitbestimmen, dann aber mit
Billigung des fremden Herrschers, der nun Otto hieß.
Unter der Regentschaft Griechenlands wurde Polyzoidis 1834 Präsident des Landgerichts in Nauplia.
Graf Joseph Ludwig von Armansperg |
Zu dieser
Zeit, als Otto noch minderjährig war, leitete Graf Armansperg die Regentschaft Griechenlands.
Drei Jahre nach dem Tod des Kapodistrias befürchtete Graf Armansperg,
die Anhänger des ermordeten Präsidenten planten einen Umsturz.
Die Rädelsführer
wurden verhaftet unter ihnen der berühmte Freiheitskämpfer Theodoros
Kolokotronis, über den nun Polyzoidis als Richter zu urteilen hatte.
„Als Vorsitzender
der Großen Strafkammer hatte er über den Fall Kolokotronis, also über den
Führer der Revolution zu urteilen.
Er hat das Urteil nicht unterschreiben
wollen, das Kolokotronis zum Tode verurteilt hatte, und daraufhin hat man ihn
vier Monate eingesperrt, bis er wieder auf freien Fuß gesetzt wurde und das
Kultusministerium und das Innenministerium übernahm.
Er hat das erste
Pressegesetz veröffentlicht, und er hat die Gründungsurkunde der Universität
Athen unterzeichnet im Jahre 1837.“
Polyzoidis war es,
der bereits 1837 die Revolution vorhergesagt hatte, sechs Jahre bevor sie Ottos
Regierung erschüttern sollte.
In einer Athener Zeitung war in einem Artikel von
ihm zu lesen:
„Niemand zweifelt
mehr, dass die Hoffnungen wieder aufleben werden, die das griechische Volk
gleich anfangs und mit Recht hegte, seinen trefflichen Otto als konstitutionellen
Monarchen und in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes mit Hellenen umgeben
zu erblicken.
Ja, Landsleute, die Stunde der endlichen Erfüllung unserer
Hoffnung naht. “
Damit hatte
Polyzoidis die Ereignisse vom 3. September des Jahres 1843 vorausgenommen.
Otto
mußte eine Verfassung der Griechen akzeptieren und damit war seine Regierung
praktisch am Ende.
Denn laut jener Verfassung durften nur noch Bürger
Griechenlands Staatsämter bekleiden.
Otto behielt zwar als König die
vollziehende Gewalt, doch es waren nur Griechen, die er fortan als Minister
einsetzen konnte.
Die Revolution von 1843 verlief weitgehend gewaltfrei. Dies
ist auch ein Verdienst des ehemaligen Münchner Jurastudenten Emmanuel
Vyvilakis.
„Bei der Revolte
1843 hat er das Leben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander
Mavrokoratos gerettet und bewahrte auch das Staatsarchiv vor der Zerstörung durch
die Aufständischen.“
Nachdem sich Otto
mit seiner neuen Rolle als konstitutioneller Herrscher abgefunden hatte, legte
er im März 1844 den Eid auf die Verfassung ab.
„Ich schwöre im
Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit, die herrschende Religion der Hellenen zu schützen,
die Verfassung und die Gesetze des hellenischen Volkes
zu wahren und die nationale Selbständigkeit und Unteilbarkeit des hellenischen
Staates aufrecht zu erhalten und zu verteidigen.“
Mit Inkrafttreten
der Verfassung mußten zahlreiche bayerische Politiker, aber auch Gelehrte
Griechenland verlassen, mit Ausnahme des Münchners Xaver Landerer, des
Leibapothekers König Ottos.
„Landerer ist
praktisch der einzige, der in der ersten Stunde der Revolution nicht in Griechenland
war und trotzdem geblieben ist, und zwar dadurch, dass er zehn Jahre lang an der
Uni kostenlos unterrichtete.
Im zehnten Jahr hat man ihm das Gehalt wieder
gegeben, weil die Fakultät ihn zum Dekan gewählt
hat.“
Es waren nicht
nur Politiker, die vor ihrer Karriere in Griechenland in München studierten.
An
der Universität war auch Georgios Pagon eingeschrieben. Er sollte einer der
ersten Sportpädagogen Griechenlands werden. Und nicht nur das:
„Er hat in Athen
die olympischen Spiele eingeführt, das erste Mal im Jahr 1859 und das zweite
Mal im Jahr 1870.
Das erste Mal waren die Spiele sogar an dem Platz, der nach
Ludwig dem Ersten benannt war.“
Der erste
olympische Gehversuch 1859, also viele Jahre vor den ersten offiziellen Spielen
der Neuzeit, war ein völliger Fehlschlag.
Ein Stadion gab es damals noch nicht.
Nach der Ankündigung, olympische Spiele in Athen durchzuführen, war der Ansturm
derer, die dabeisein wollten so groß, dass es zu einer Massenpanik kam.
Es gab
einen Toten und zahlreiche Verletzte.
Kehren wir zurück
zu den griechischen Studenten in München:
Der Jurastudent Konstantin Dosios
genoß als Athener Stadtrat unter Otto und später als Kultusminister einen hohen
Bekanntheitsgrad, doch sein Sohn Aristidis erlangte eine größere, wenn auch
traurige Berühmtheit durch ein Attentat, das er auf Königin Amalia verübte:
Königin Amalia von Griechenland |
„Man hat das in
späterer Zeit hochgespielt.
Man behauptete, das sei ein studentischer Aufstand
gewesen gegen das Königtum überhaupt.
Es stellte sich aber heraus, dass der
junge Mann verrückt war, und deshalb ist er auch in einer Nervenheilanstalt in
Paris gestorben.“
Das Attentat auf
Königin Amalia vom 18. September 1861 geschah ein Jahr, bevor das Herrscherpaar
Griechenland endgültig den Rücken kehren mußte.
Nach dem Ende des bayerischen
Königtums kehrte ein gewisser Georgios Petimesas nach Griechenland zurück, der
in München an der Staatswirtschaftlichen Fakultät studiert hatte.
Er war
maßgeblich am ersten Sturzversuch Ottos mitbeteiligt gewesen.
Er wurde des
Landes verwiesen und verbrachte acht Monate in italienischem Exil.
„Als im Oktober
1862 der Sturz Ottos in Athen kam, kehrte er nach Griechenland zurück.
An der
Spitze einer 20köpfigen Kommission kontrollierte er den geheimen Briefwechsel
Ottos.
Dabei musste er dann feststellen, dass die Griechen einen Fehler begangen
hatten, Otto gestürzt zu haben.„
Entsetzt über das
eigene Handeln erklärte Petimesas gegenüber den Kommissionsmitgliedern:
„Meine Herren!
Viel zu spät sind wir nun alle von Ottos Vaterlandsliebe zu Griechenland
überzeugt worden.
Lassen Sie uns diesen Briefwechsel verbrennen, denn sonst wird
das Volk uns verbrennen, wenn es davon Kenntnis erhält.
Verhängnisvollerweise
haben wir uns und de Nation des Augenlichts beraubt!“
Doch für Reue war
es zu spät, Otto war nicht mehr König von Griechenland.
Auch wenn nicht alle griechischen
Studenten, die sich in München die nötige Bildung verschafften zu
Lichtgestalten der Geschichte wurden, die meisten von Ihnen leisteten einen
wichtigen Beitrag zur Entwicklung des damals noch jungen, modernen
Griechenland.
„Sie haben praktisch
alles ins Leben gerufen:
ob das die Gesellschaften waren, ob das Museen waren, Laboratorien oder Seminare.
Alles haben
diese Studenten gemacht.
Ich konnte feststellen, dass in einem Jahr alle Dekane
der Fakultäten ehemalige Studenten aus München waren.
Auch in der Politik waren
sie sehr aktiv:
nicht nur als Abgeordnete im Parlament und als Minister in verschiedenen
Regierungen.
Einer wurde Parlamentspräsident und ein anderer sogar
Ministerpräsident. “
Bayerischer Rundfunk
Mit freundlicher
Empfehlung
Redaktion Bayern
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Textformatierungen und Bilder sind von mir ergänzt worden.
(Konstantin Kotsowilis M.A.)
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(Konstantin Kotsowilis M.A.)
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